Geld verdienen nur die Top-Athleten der Leichtathletik
Der pure Enthusiasmus
Recklinghausen. Top-Leichtathlet zu sein, ist ein Vollzeitjob. Zwei
Trainingseinheiten am Tag sind eher die Regel, denn die Ausnahme. Dazu kommen
oft zwei Wettkämpfe in der Woche. Da ist Zeit Geld.
Der Rückzug des Bayer-Konzerns aus der Leichtathletik nach den
Weltmeisterschaften 2009 in Berlin und das Umstrukturieren der Gelder aus der
Leichtathletik in den Fußball ist auf großer Ebene nur die Konsequenz dessen,
was sich auf Kreis- und Westfalenebene längerfristig abzeichnete. Dabei ist es
fast gleich, ob es um Bundesliga oder Westfalenliga geht. So kassiert ein
Westfalenligaspieler rund 500 Euro im Monat Aufwandsentschädigung für drei
Trainingseinheiten und rund 35 Spiele im Jahr. Eine Top-Nachwuchsathleten wie
die Recklinghäuserin Christina Haack bekommt in ihrem Klub TV Gladbeck keinen
Cent. Zwar übernimmt der Verein die Übernachtungskosten bei Meisterschaften
oder Meetings. Ansonsten gibt es einen Zuschuss bei Trainingsbekleidung oder
neuen Laufschuhen. So absolviert Haack eine Ausbildung bei der Stadt
Recklinghausen und hat oft Tage, die gegen 7 Uhr anfangen und 22 Uhr enden.
„Das ist stressig und natürlich stellt man sich die Frage, nach dem Warum. Da
ist viel Enthusiasmus dabei.” Ohne diesen würde es in der Leichtathletik kaum
noch gehen. Eine finanzielle Förderung der Nachwuchs-Kaderathleten findet
nicht mehr statt. Höchstens über die Deutsche Sporthilfe können sich die
Top-Athleten durch Finalplatzierungen bei Olympischen Spielen eine Förderung
sichern. Darüber hinaus bekommen Weltmeister wie Hammerwerferin Betty Heidler
eine Prämie und Weltklasse-Sportler wie der Sprint-Weltrekordler Usain Bolt
können auf den Meetings einen guten Dollar verdienen. 95 Prozent der
Leichtathleten sind in Deutschland mit 19 Jahren, wenn der Schritt in die
Berufswelt ansteht, nicht soweit. Das weiß U 20-Disziplintrainer Edgar
Eisenkolb vom Deutschen Leichtathletik Verband. „Wir leben in einer
Leistungsgesellschaft. Doch Leistung wird erst honoriert, wenn sie erbracht
wurde. Dass viele Talente wegbrechen, weil sie sich keine Freisemester leisten
können oder nicht bei der Bundeswehr unterkommen – das ist ein
Problem.” Einer, der trotz eines Deutschen Meistertitels mit den Langstecklern
des TV Wattenscheid, die Reißleine gezogen hat, ist Tobias Schultz. Einige
Monate hat er es vor seinem Comeback nach einer Verletzung probiert, die für
seinen Anspruch notwendigen acht bis neun Einheiten mit Studium, Job und
Familie zu organisieren. „Mit dem Ergebnis, dass ich oft nur vier Stunden
geschlafen habe. Irgendwann hat mein Körper Stopp gesagt.” Wenn er mit seinem
Sport Geld verdienen könnte, wie ein Westfalenliga-Fußballer, wäre alles gut.
Doch so ist er für die Leichtathletik verloren wie Caroline Borghoff (Marl)
oder Karina Sauer (Dorsten), die 2001 direkt nach der Schule Schluss machten.
Dementsprechend frustriert ist Eisenkolb. „Wir können die Leichtathletik nur
mit neuen Heike Drechslers oder Lars Riedels interessant machen. Da immer mehr
Talente früh aufhören, werden die Chancen kleiner, wieder solche Leute zu
bekommen.”