Leichtathletik. Deutsche Junioren-Meisterschaft
Schon beim Einwerfen spürten die Zuschauer und Konkurrenten, dass es beim
Hammerwurf nur darum gehen würde, wer hinter Sergej Litvinov Silber und
Bronze holt.
Recklinghausen. Genau das war das Problem, befand der neue
Deutsche Junioren-Meister, als ihm die Gegner nach dem letzten Versuch zum
Titel mit 71,89 Metern gratulierten. „Ich habe mich nicht bedrängt gefühlt.
Bei den Großen hat man mehr Angst, mehr Adrenalin, und dann wirft man auch
weiter”, sagte der Athlet von der LG Eintracht Frankfurt. Sein Vater wäre
wohl ebenso wenig zufrieden gewesen.
Sergej Litvinov
Foto: WAZ, Reiner Kruse
Der heißt ebenfalls Sergej (Nikolajewitsch) Litvinov, ist zweimaliger
Weltmeister und Olympiasieger von Seoul. Auch im Hammerwerfen. Was Segen und
manchmal Fluch zugleich ist. „Er ist der beste Trainer der Welt”, sagt
Sergej Litvinov junior, weil der Vater „mit mir die ganz alte Schule
trainiert: ganz viele Würfe, ganz viel Technik, und jede Übung muss explosiv
sein.” Manchmal ist der Herr Papa aber auch der schwerste Coach der Welt.
Als sei es nicht schon anstrengend genug, ständig am übergroßen Vater
gemessen zu werden, so ist der alte Herr mit seinem Sohn doppelt so kritisch
wie mit anderen Sportlern. „Und alles, was er sagt, ist für mich natürlich
viel emotionaler”, erzählt Sergej Litvinov.
Statt des Vaters, der in Weißrussland den Weltmeister Iwan Zichan auf die
Olympischen Spiele vorbereitet, ist Mutter Olga als Überraschung nach
Recklinghausen gekommen. Olga Litvinov war früher Turnerin, ist jetzt
Turntrainerin und, weil es zu Hause im Rostow am Don und in Bremen immer nur
um Sport gegangen sei – „wie weit, wie oft und so weiter” – mittlerweile
auch Expertin im Hammerwurf. Drei Meter weiter verarbeitet gerade der
Leverkusener Sven Möshner mit hängendem Kopf seinen ersten Fehlversuch im
Endkampf, im Schatten fachsimpelt Sergej Litvinov mit seiner Mutter über den
richtigen Dreh im Hammerwurf-Rund.
Vor knapp zwei Monaten hat Sergej mit dem Verein auch den Wohnort
gewechselt und ist von Bremen nach Frankfurt gezogen. Das ist nicht
unbedingt einfach, zumal Freundin Marina in Weißrussland lebt, aber das
Selbstständig-Sein gehört ebenso zur alten Schule. Für moralische
Unterstützung im Stadion Hohenhorst sorgt die Mutter. Die braucht der
21-Jährige, und er beinahe kennt er es gar nicht anders. Jeden Judokampf
ihres Sohnes habe sie gebannt verfolgt, erzählt die kleine Dame mit
russischen Akzent, während sie mit der Digitalkamera fotografiert, wie der
große Sohn dazu ansetzt, in über 70 Metern Entfernung ein weiteres tiefes
Loch in den Stadionrasen zu hämmern. Deutscher Meister im Judo wurde
Litvinov übrigens auch – bei der U 17. „Aber dann gab es keine
Trainingspartner mehr für ihn, und dass er schon mit 15 Jahren gegen
Erwachsene kämpft, war mir zu gefährlich”, sagt Olga Litvinov.
Dann Hammerwerfen, entschied die Sportlerfamilie. Als der Vater erkannte,
dass er in Deutschland keinen Arbeitsplatz als Trainer finden würde, zog er
vor sechs Jahren nach Weißrussland, nahm Sergej junior mit und stellte fest,
dass seinem Sohn der richtige Dreh für den weiten Wurf in den Genen liegt.
Ganz der Papa also? – „Nur zur Hälfte” meint die Mama und schmunzelt. „Mein
Mann war immer eiskalt beim Wettkampf, mein Sohn ist eher sensibel.”
Sergej Litvinov senior war zudem immer ein typischer Hammerwerfer: breit,
massig, schwer. 108 Kilogramm bei 1,80 Meter brachte der Olympiasieger in
seinen besten Zeiten auf die Waage, als er das Sportgerät über 86 Meter
schleuderte.
Ziegler und Lipske landen hinter Litvinov
Mit seiner Siegesweite von 71,89 Metern ließ Sergej Litvonov zwar die
Konkurrenz deutlich hinter sich – auf Platz zwei und drei folgten
Alexander Ziegler von der LG Staufen mit 68,54 Metern und Jerrit
Lipske von der LG Stadtwerke München mit 65,63 Metern.
Aber Litvinov blieb deutlich unter seiner Jahresbestleistung von 75,35
Metern. In die Nähe der Olympia-Norm für Peking (78,50 Meter) kam er
bei einem Wettbewerb in Weißrussland, doch die 77,03 Meter wurden vom
Internationalen Leichathletik Verband nicht anerkannt. Livinov besitzt
sowohl die russische, als auch die deutsche Staatsbürgerschaft und ist
seit Juli für den Deutschen Leichtathletik Verband startberechtigt.
Der junge Litvinov dagegen ist eher schmal und kann das nachholen, was
sein Vater bei sich selbst als Nachteil empfand: Gewicht und Muskelmasse,
die der Technik abträglich sein können. Fünf Zentimeter mehr misst er schon,
aber 18 Kilogramm trennen ihn derzeit von Papas Kampfgewicht. „Die Kraft
kann ich aufholen. Mit 28 bis 30 Jahren ist man als Hammerwerfer in
Topform”, erklärt Sergej Litvinov.
Die hatte der Deutsche Junioren-Meister in Recklinghausen bei weitem
nicht. Und geht – da ist er eben doch ganz der Papa – hart mit sich selbst
ins Gericht: „Ich bin noch zu unstabil, aber das ist gut so, eil ich dann
weiß, was ich falsch mache.” Bei der internationalen Leichtathletik-Gala in
Wattenscheid wird der Druck größer sein. Aber den braucht er ja. Um das
große Ziel zu erreichen, die Weltmeisterschaft 2009 in Berlin. Welchen
Werfer sein Vater dann betreut, ist noch nicht entschieden.